Ein Atheist soll auch beten

Dass wir Menschen lernen, den Schmerz derjenigen zu lindern, die leiden, und uns mit denen zu freuen, die sich freuen. Oder wir werden alles sein, nur nicht Menschheit. (Paiva Netto)

Die Botschaft von Paiva Netto in dieser Ausgabe ist eine Einladung an uns, über die Macht des Gebetes als stärkstes Werkzeug der Menschenseele nachzudenken, um allen Schmerz und alle persönlichen Ereignisse des Alltags zu überwinden. Deswegen ist für ihn das Gebet der Meditation ähnlich, die so oft von denjenigen praktiziert wird, die sich Atheisten nennen, wenn sie sich von Herzen den Nächsten widmen. Der Text umfasst Kapitel 55 vom Buch Das Kapital Gottes (Verlag Elevação).

Der 7. September, so genannt der Tag der brasilianischen Unabhängigkeit, muss noch vervollständigt werden. Doch wie beginnt die Befreiung eines Volkes, das aus Religiösen, Agnostikern, Atheisten und Spöttern besteht? Durch die Aufklärung des Geistes, unabhängig von der Art und Weise wie jeder es zugibt oder versteht. Vor diesem Hintergrund, als Dank Euch allen widme ich diesen Artikel, die ihr mir die Ehre gebt, meine Texte zu lesen. Hier möchte ich die Emotion teilen, in der obersten Geistigkeit die reichsten Antworten auf die tiefsten Wünsche nach Frieden, die im menschlichen Bewusstsein derjenigen wohnen, die wirkliche Befreiung suchen.

Lieben ist ein Gebet

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Thomas von Kempen

Das Gebet ist keine Zuflucht weder der Feiglinge noch der Müßiggänger. Es erhebt uns, die Arbeit verwirklicht uns. Der Papst betet, der Dalai Lhama meditiert, Chico Xavier betet, die Rabbiner stimmen ihre Fürbitten an, die Evangelischen singen ihre Loblieder zu Gott, die Muslime deklamieren den heiligen Koran, Mutter Teresa von Kalkutta betete, Helen Keller ebenfalls, sogar Cony betet in Liebe für seine kleine Hündin Mila. Lieben ist ein Gebet. Was ist Beten, wenn nicht die Liebe, die man in große Taten steckt? Wenn ein atheistischer Bruder eine Wohltat zugunsten der Gesellschaft vollbringt, betet er. Beten ist nicht einfach nur ein sinnbildlicher Akt. Es ist das stärkste Werkzeug, welches das menschliche Wesen besitzt, das Gotteskapital. Wie der deutsche katholische Mönch Thomas von Kempen (1380- 1471) in seinem Werk Nachahmung Christi, „Edel ist die Kunst, sich mit Gott zu unterhalten” behauptete.

In der heutigen Zeit der Verweltlichung , in der die Grenzen meistens über den Köpfen der ärmeren Bevölkerungen zusammenbrechen, sucht das Volk nach einer sicheren Existenz, die von ganz diskrepanten Mächten regiert wird. Jedoch ist nicht immer das, was sie bieten, das Beste. Und die Geschichte wiederholt sich, in der Summe von Frustrationen, die zu einer unkontrollierbaren Bewegung der Massen führen können. Auch die Nationen übergeben sich*1.

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Marx

Sie suchen dann Erleichterung ihrer Schmerzen im Unsichtbaren. Doch da sich viele an eine beschränkte Sicht der geistigen Macht gewöhnt haben, beten sie zu einem anthropomorphen Gott, der ihnen nicht antwortet, weil es ihn nicht gibt (...). Ich glaube, selbst Marx würde ein Gebet sprechen als starkes psychisches Werkzeug zur Stärkung des Geistes und als Stabilitätsfaktor vor den persönlichen und familiären Problemen, denen alle begegnen. Trotz der Überzeugung einiger Leute war der Begründer des Marxismus auch ein Mensch, auf seine Art und Weise um die sozialen Probleme besorgt. Sicherlich meditierte der umstrittene Autor des „Kapitals" über seine Ideale. Bewusst oder unbewusst, in gewisser Weise betete er. In Chroniken und Interviews*2 schrieb ich darüber, dass sich „Beten und Meditieren ähnlich sind”. (...)

Der treue Begleiter

Der Meister Schmerz ist treuer Berater derjenigen, die fähig waren, durch ihn zu lernen, was ein zerstreutes Dasein nicht bieten kann, weil es den Schmerz nicht kennt.

Doch am Horizont des Leidens erscheint immer die ausgestreckte Hand Gottes, ständig bereit, den aufzurichten, der am Boden zerstört nach seiner Hilfe ruft. In diesem Moment findet das Geschöpf seinen Schöpfer, wenn es will, aus freier Wahl, unanfechtbar. Materie und Geist interagieren, und die scheinbar unerreichbare Lösung erweist sich als Wirklichkeit für denjenigen, der im Glauben handelt. Warum im Glauben handeln? Weil Glaube allein nicht ausreicht. Er muss konkret zugunsten des Individuums und dessen Gesellschaft umgesetzt werden. Das nennt man Solidarität.

In diesem Zusammenhang ist das Zitat in der Einleitung des Literaturwerks „Über die christliche Freiheit", von Martin Luther sehr passend. Das Werk wurde von Professor Leônidas Boutin mit Unterstützung der Pastoren Heinz Soboll und Richard Wengan der Evangelischen Gemeinde von Curitiba, Paraná, Brasilien 1958 ins Portugiesische übersetzt. So nahm ich es auf einer der Seiten meines Buches Reflektionen der Seele mit folgendem Kommentar auf:

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Martin Luther

„Eine der größten Fragen vieler derjeniger, die sich geistige Rettung wünschen, ist: Was gefällt Gott am meisten’? Der große Reformator Martin Luther (1483-1546) hat die Antwort, zitiert von Professor Leônidas Boutin: „Echter, unerschütterlicher Glaube an das Wort Gottes in der Heiligen Schrift. Und wer wirklich glaubt, der vollbringt auch gute Taten, d.h. er liebt seinen Nächsten, denn es ist unmöglich, zu glauben, ohne gute Taten zu vollbringen; sie sind die natürliche und unvermeidliche Folge des Glaubens’ ."

Beten stärkt

Als ich mich im Morgengrauen eines langen Tages niederlegte, schickte ich wie gewohnt mein Gebet zum Himmel im kindlichen Glauben, seiner barmherzigen Aufmerksamkeit würdig zu sein. Als ich dem himmlischen Vater meine Seele öffnete, spürte ich, wie seine Energie meinen Geist erschwingen ließ. Diese Aussage ist in keiner Weise angeberisch, denn Jesus lehrt uns, dass Gottes Reich in uns ist (Lukasevangelium 17, 21).

Ah! Was für ein Wohlgefühl ist es doch, einen kleinen Tropfen von seiner Liebe zu erfahren! Es ist ein sicherer Trost in dieser Welt der heftigen und ständigen Kämpfe. Diese unsagbare Freude erfuhr auch die beständige und demütige Mutter, die um die vollkommene Gesundheit ihrer kleinen Tochter flehte (Evangelium nach Matthäus 15:21 - 28):

Die kanaanäische Frau

Als die besorgte Mutter aus dem Gebiet der Kanaanäer Jesus aufsuchte, verfolgte sie beständig ihr Ziel, Hilfe für ihre verwirrte Tochter zu bekommen.

Doch bevor Christus ihr half, wollte er ihren Glauben prüfen.

Er sprach:

— Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen.

Tela: Jean Germain Drouais (1763-1788)
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Alziro Zarur

Sie jedoch wiederholte beständig: — Ja, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Darauf antwortete ihr Jesus: - Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen. Und von dieser Stunde an war ihre Tochter geheilt. Ich erwähne diese Erzählung der kanaanäischen Frau in der Guten Neuen Botschaft Christi, um daran zu erinnern, wie nötig es ist, sich loszulösen und Geduld zu haben, um die Versprechen des Höchsten zu erlangen. Ich möchte hier auch an die Worte des Journalisten, Schriftstellers und Dichters Alziro Zarur (1914-1979) erinnern, der im Dezember 1974 in der Stadt Glorinha, Staat Rio Grande do Sul, Brasilien schrieb: - Die göttlichen Angelegenheiten erfordern Hingebung.

Das Gebet

Dieses Gespräch mit dem der uns alle hört, auch die Arroganten und Überheblichen, richte ich an alle, die ihren täglichen Kampf kämpfen:

Oh Gott, der du meine Zuflucht bist!

Oh Gott! Ich erhebe meine Gedanken wieder zu dir und finde Unterstützung für meine Absichten, Halt für meine herausfordernden Projekte, denn niemals werde ich den Kampf um deine Ziele aufgeben, die da sind:

- (...) Friede auf Erden den Menschen Guten Willens (Lukas 2:14).

Fern von mir all die Pessimisten, die das Jüngste Gericht ohne Vergebung verkünden, wo es doch du bist – in Allem – der ewige Anfang des pulsierenden Lebens. In dir höre ich nicht den Abgrund, sondern sehe Rettung. Ich glaube an die universelle Liebe, die zum Überleben der Menschheit führt, die trotz aller Fallen auf ihrem Weg mit Ausdauer um ihr Bestehen kämpft.

Dies ist mein „handelnder Glaube", der in Frieden mit den anderen lebt; mein ökumenisches Ideal des Guten Willens, das darum bemüht ist, alle Nationen der Welt zu vereinen, denn alle sind deine Geschöpfe, einziger Schöpfer des Himmels und der Erde! Du bist die höchste Brüderlichkeit, Zuflucht der Herzen. In ihm bin ich nicht vergänglich. (...) Ich habe mich gefunden, denn ich habe mich in deiner Liebe wiedergefunden. Du bist die vollendende Hilfe meiner Seele.

Ich spüre, wie mein Sein vor Freude überläuft. In deinem Geist erkenne ich mich als Bruder meiner Geschwister der Menschheit wieder. In diesem Eden deiner erhabenen Zuwendung fühle ich mich weder heimatlos, noch den stürmischen Unruhen hilflos ausgesetzt, fern von meinen lieben Verwandten. Endlich habe ich mich gefunden, mein Gott, weil ich dich gefunden habe. Du hast mich seit Langem erwartet, doch ich wusste es nicht. Nun irrt mein Herz nicht mehr orientierungslos umher: In deinen göttlichen Armen fand ich Schutz; in deiner Liebe mein sicheres Dach; auf deinem Schoß, Ruhe für meine Seele.

Ich danke dir, mein großherziger Vater, dass du mich hörst! Heute verstehe ich, dass du ganz Liebe bist, denn du bist wohltätig, Mutter und Vater der wahren Gerechtigkeit. In dir lebt ausgiebig die Genialität*3, die sich alle wünschen, denn der Planet bedarf ihrer: Dein majestätisches Licht, das auf uns alle gleichermaßen herabscheint, auch wenn wir es nicht bemerken. Im Vertrauen auf deine übernatürliche Weisheit lege ich mein Schicksal in deine Hände, denn meine Sicherheit als Kind ist in deiner väterlichen Weisheit!

So sei es!

So beende ich dieses Gebet. Es gibt nichts Besseres als das Gespräch mit Gott, insbesondere in den Momenten, in denen wir uns geistig stärken müssen, und das ist in jedem Moment. Wer auf dieser Erde leidet nicht oder vermisst nicht etwas, was selbst das feinste irdische Angebot nicht befriedigen kann? Lasst uns im Glauben die Hoffnung suchen, die wir für unsere körperliche, mentale und geistige Erhaltung brauchen. Welchen Glauben? Wähl deinen eigenen.

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Alexis Carrel

Als ich mein Gebet beendete, spürte ich den Hauch der Milde unseres liebevollsten Lehrers. Der namhafte französische Wissenschaftler Alexis Carrel (1873-1944), Nobelpreisträger der Medizin 1912, definierte nach ausführlichen Untersuchungen:

- Das wahre Gebet ist ein Lebensweg; das wahre Leben muss eine Art und Weise des Gebetes sein.

Der weise Carrel hatte Recht. Jede Befreiung – die den Menschen nicht versklavt – beginnt im Geist. Folglich wird es keinen endgültigen Unabhängigkeitsschrei geben, wenn wegen der unabdingbaren Erziehung des Geistes und des Herzens im dritten Jahrtausend vergessen wird, dass es keine starke Nation geben wird, solange sein Volk nicht weiß, warum es in dieser Welt ist. Wir werden später darauf zurückkommen.
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*1 auch die Nationen übergeben sich – Siehe in Reflektionen und Gedanken – Dialektik des Guten Willens (1987). Seite 109 und 110, von Paiva Netto.

*2 Chroniken und Interviews – ein Buch von Paiva Netto, herausgegeben vom Verlag Elevação während des Kongresses Viva Jesus!, in Belo Horizonte/Minas Gerais, Brasilien, im Dezember 2000.

*3 Die Genialität, die Jesus gefällt — schlagen Sie im Buch Wir sind alle Propheten, des Leiters der Einrichtung Guter Wille, Seite 36, 44. Ausgabe nach.

 

José de Paiva Netto ist Schriftsteller, Journalist, Rundfunksprecher, Komponist und Dichter. Er ist Vorsitzender der Legion des Guten Willens (LGW) und aktives Mitglied der Brasilianischen Pressevereinigung (ABI), der Brasilianischen Vereinigung der Internationalen Presse (ABI-Inter). Er ist der Nationalen Föderation der Journalisten (Fenaj) angeschlossen, der International Federation of Journalists (IFJ), dem Verband für Berufsjournalisten im Bundesland Rio de Janeiro, dem Schriftstellerverband von Rio de Janeiro, dem Verband der Rundfunksprecher im Bundesland Rio de Janeiro, sowie der Brasilianischen Union der Komponisten (UBC). Gleichfalls ist er Mitglied der Akademie für Literatur Zentralbrasiliens. Er ist internationaler Referenzautor für die Verteidigung der Menschenrechte und für die Konzeptualisierung und Verteidigung der Sache der Bürgerschaft und Ökumenischer Spiritualität, die, nach seiner Auffassung, „die Grundlage der großzügigsten Werte darstellen, die aus der Seele erwachsen, der Wohnstatt der von Intuition erleuchteten Emotionen und Reflexionen, der Umgebung die all das umfasst, was den vulgären Bereich der Materie überschreitet und aus der sublimierten menschlichen Sensibilität entstammt, wie beispielsweise Wahrheit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Ethik, Rechtschaffenheit, Großzügigkeit und die Brüderliche Liebe.“